Stütze mich, damit ich lebe, wie du es verheißen hast. Lass mich in meiner Hoffnung nicht Scheitern. (Psalm 119:116)

Religiöser Glaube bewältigt keine Probleme

Ich dlaube prinzipiell an nichts, das sich nicht begründen lässt. Bloße Wünsche oder Hoffnungen können Begründungen nicht ersetzen. Der spezifische religiöse Glaube an den christlichen Gott, wie er in unserer Gesellschaft überliefert ist, lässt sich meines Erachtenss nicht begründen. Außerdem spricht vieles dafür, dass der Mensch sein Leben in dieser Welt eher besser bewältigen kann, wenn er auf den Glauben an einen göttlichen Schöpfer, Sinngeber und Normsetzer verzichtet.

1. Sämtliche Begründungen für die Existenz Gottes, ob strikte Beweise oder bloße Plausibilitätsargumente, sind seit langem gescheitert. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich alle Fragen, die amn angesichts der Welt und des Lebens haben kann, etwa wissenschaftlich beantworten lassen. Sehr viele grundlegende, philosophische Fragen sind bis heute ungelöst und werden wohl immer ungelöst bleiben.

Die Annahme der Existenz eines göttlichen Weltschöpfers trägt zu ihrer Lösung jedoch nichts bei. Denn jedenfalls über Eigenschaften, Verhaltensweisen und Absichten eines solchen Weltschöpfers können wir uns keine begründeten Vorstellungen machen. Dieser Tatsache tragen viele moderne Theologen sogar Rechnung - indem sie in ihren apologetischen Äußerungen häufig vom "unbekannten" Gott sprechen. Leider hindert das dieselben Theologen nicht daran, im praktischen Leben immer dann, wenn es ihren Zwecken dienlich ist, durchaus sehr spezifische Folgerungen aus dem wesen und den Absichten Gottes zu ziehen.

2. Das erweist sich besonders deutlich auf dem Gebiet der individuellen Lebensgestaltung. Man betrachte beispielsweise jene im Namen Gottes verkündete Ehe- und Sexualmoral, die selbst solche Handlungen verbietet, die für niemanden in irgendeiner Weise schädlich sind. Oder gibt es gute Gründe für die Annahme, dass jene Millionen Menschen, die in den vergangenen zwei Jahrtausenden durch diese Moral einen nicht geringen Teil ihres irdischen Glücks eingebüßt haben, dafür vielleicht im Jenseits entsprechend entschädigt werden?

Ein weiteres Beispiel wäre das Verbot der Selbsttötung oder der einverständlichen Sterbehilfe sogar unter solchen Bedingungen, unter denen ein Weiterleben für den Betreffenden wegen der Begleitumstände einer unheilbaren, schweren Krankheit offensichtlich ohne Wert ist.

Natürlich muss ein Glaube an Gott nicht notwendig mit solchen praktischen Konsequenzen verbunden sein. Aber erstens zeigt die Geschichte bis zum heutigen Tag, dass diese Verbindungen nicht gerade selten ist. Und zweitens wird der Glaube an Gott, sofern er sich für die persönliche Lebensgestltung nicht als schädlich erweist, eben damit für diese Lebensgestaltung funktionslos und überflüssig. Denn was für den Menschen unter rein diesseitigem Aspekt förderlich und glückbringend ist, kann er entweder aus empirischer Beobachtung und Erfahrung oder gar nicht lernen! Die Begründung etwa dafür, dass ich viel Musik höre, kann ich allein in der mit dem Musikhören für mich verbundenen inneren Befriedigung finden. Durch die zusätzliche Unterstellung, dass ich mit dem Musikhören einem Schöpfungsauftrag oder Gebot Gottes folge, wird diese Begründung um nichts stichhaltiger.

3. Im Bereich sozialen Zusammenlebens liegen die Dinge nicht wesentlich anders als im Bereich individueller Lebensgestaltung. Um soziale Normen für das menschliche Zusammenleben zu begründen, muss man Erfahrungstatsachen über die menschliche Natur und über die Bedingungen irdisch menschlichen Lebens hreanziehen. Auf dieser Basis kann man dann zeigen, dass die soziale Geltung und generelle Beachtung gewisser Normen (wie du sollst nicht töten oder du sollst nicht lügen) elementaren Interessen jedes menschlichen Individuums dienen.

Denn jedem Individuum ist der mit diesen Normen verbundene Vorteil, normalerweise nicht getötet und nicht belogen zu werden, mehr wert als der mit ihnen verbundene Nachteil, selber nicht töten und nicht lügen zu dürfen.

Derartige Voraussetzungen gedeihlichen sozialen Zusammenlebens als göttliche Gebote aufzufassen, kann ihre Plausibilität um nichts erhöhen. Ja, es besteht die Gefahr, dass diese Normen für denjenigen, der sie in der Form göttlicher Gebote gelernt hat, ihre gesamte Autorität verlieren, falls ihm sein religiöser Glaube abhanden kommt. Insbesondere religiös begründete Maximalgebote (wie das christliche Gebot, jeden Mitmenschen wie sich selbst zu lieben) wirken sich in der Praxis eher kontraproduktiv aus: 

Da sie die die menschliche Natur offensichtlich überfordern, werden sie im realen Leben selten ernst genommen. Die Folge ist - da man sich gewöhnlich scheut, religiöse Forderungen offen über Bord zu werfen, dass die Moral zu einer Sache der Heuchelei oder des bloßen Lippenbekenntnisses verkommt. Wer Reden und Handeln etwa unserer Politiker kritisch verfolgt, wird diesen Punkt häufig genug bestätigt finden. 

4. Wie aber sollen wir uns mit solch unverhohlenen Verbrechern wie Hitler oder Stalin moralisch auseinandersetzen? Was können wir - wenn nicht eine religiös begründete Moral - ihren unmenschlichkeiten entgegensetzen? 

Zunächst einmal können wir jene weltanschaulichen Veraussetzungen kritisieren, die ihren praktischen und politischen Zielen zugrunde liegen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass genügend Menschen sich an den Verbrechen Hitlers oder Stalins beteiligt hätten, wenn sie sich nicht als berufene Sachwalter der entsprechenden Weltanschauungen gefühlt hätten. Wer also diese Weltanschauungen bekämpft, bekämpft damit automatisch auch ihre praktischen Auswirkungen.

Um die Weltanschauungen des Nationalsozialismus oder des Marxismus zu bekämpfen, benötigt man jedoch nicht die alternative Weltanschauung des Christentums. Jede typische Weltanschauung des Christentums. Jede typische Weltanschauung besitzt in ihrem Anspruch umfassender Welterklärung und moralischer Handlungsanleitung durch "Glaubenswahrheiten" manifest irrationale Züge. Um diese zu kritisieren, bedarf es nicht einer alternativen Form der Mystifizierung unserer Existenz, sondern einer empirisch nüchternen und sprachlich durchsichtigen Aufklärung über sie. 

Es trifft zwar zu, dass nicht jede Weltanschauung sich in der politischen Wirklichkeit für den Menschen und sein diesseitiges Wohlergehen gleichermaßen katastrophal auswirkt. Dass unter diesem Aspekt jedoch gerade das Christentum besondere moralische Vorzüge genießt, kann wohl nur behaupten, wer die zweitausendjährige Geschichte dieser Religion und ihrer Auswirkungen lediglich aus dem offiziellen Religionsunterricht kennt.

Natürlich ist kritische Aufklärung im Kampf gegen Inhumanität und Terror nicht ausreichend. Hinzukommen muss die feste Verankerung von politischen Institutionen, welche bereits die Machtergreifung durch "Führer" wie Karl den Großen oder Hitler, wie Calvin oder Stalin unmöglich machen. Politische Institutionen aber bestehen nicht aus unverbindlichen Appellen, sondern aus Normen, verknüpft mit Sanktionen, d.h. mit Strafandrohungen für den Fall der Nichtbefolgung. Solche Institutionen aber können nur in einer staatlichen Rechtsordnung wirksam verankert sein. Eine dauerhafte, humane Friedensordnung ohne die permanente Präsenz eines staatlichen Gewaltmonopols ist eine Utopie. Das gilt für jede Art großräumigen menschlichen Zusammenlebens. Auch die Weltgesellschaft wird auf Dauer nur im Rahmen eines Weltstaates in Frieden überleben können.

(vgl. Hoerster, Norbert: "Religiöser Glaube bewältigt keine Probleme", in: Deschner, Karlheinz: "Woran ich glaube", Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1990)

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